Der zweisprachige Vorleseworkshop

Ziele

  • Die Mulingula-Vorlesestunden und der Kernunterricht erfahren eine direkte Verknüpfung über den gemeinsamen Start in das Buch.
  • Die Sprachenvielfalt in der Klasse wird für alle transparent und erfährt Wertschätzung.
  • Sprachbetrachtungen und direkte Sprachvergleiche werden allen Kindern ermöglicht. So wird Sprache auf ein abstraktes Niveau gehoben und zum Gegenstand sprachlicher Untersuchungen. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für das weitere grammatische Lernen der Kinder.
  • Den zweisprachigen Kindern wird eine zweisprachige Rezeption eines Kinderbuches ermöglicht. Das sichert das Textverstehen.
  • Der gemeinsame zweisprachige Start in eine Lektüre sichert das Lesevergnügen für alle Kinder.

Im Vorleseworkshop, der zeitlich ein bis zwei Schulstunden umfasst, wird eine Lektüre, in der Regel ein ausgewähltes und methodisch sorgfältig aufbereitetes Bilderbuch, zweisprachig (auf Deutsch und in einer der Mulingula-Sprachen der Kinder) im Klassenverband präsentiert. Der Text wird abschnittweise sprachwechselnd vorgelesen. Bei längeren Textfassungen darf der deutschsprachige Vorlesepart auch dominieren. Nur die wichtigsten Textpassagen werden dann in der zweiten Sprache vorgelesen. Wichtig ist, dass alle Kinder motiviert und aufmerksam bleiben. Beim deutschsprachigen Vorlesen fühlen sich alle Kinder angesprochen; beim fremdsprachigen Vorlesepart können inhaltlich nur die Muttersprachler*innen folgen. Für die deutsch- und anderssprachigen Kinder lässt sich die Hörmotivation dann gut mit Höraufträgen aufrechterhalten.

Beispiel
Hörauftrag: Der Storch heißt auf Arabisch laklak, der Frosch dafdau. Ihr achtet gleich beim Vorlesen darauf, wann die beiden Wörter vorkommen. Sobald ihr laklak hört, klappt ihr eure Hände wie einen Storchenschnabel aufeinander. Sobald ihr dafdau hört, sagt ihr leise „quak“.

Sprachbetrachtungen und Sprachvergleiche lassen sich über den Kontrast der beiden Sprachen leicht initiieren. Sie sind für Kinder in den Mulingula-Schulen selbstverständlich. Alle Kinder erleben darüber spannende Sprachbegegnungen und erweitern ihr globales Sprachwissen. Sie betrachten Sprache auf einer Metaebene und stellen sprachuntersuchende Überlegungen an. So erfassen selbst Lernanfänger*innen durch die Gegenüberstellung von Nomen und ihren Artikeln beispielsweise, dass es sowohl auf Deutsch als auch auf Romanes drei Artikel gibt.

Bildwortkarten auf Deutsch und Romanes zu „Tschiep“ von Martin Baltscheit, www.mulingula-praxis.de

Tipps
* Beim Vorlesen eines fremdsprachigen Textabschnitts fokussieren alle Kinder über einen Hörauftrag ein Wort, das vorher genannt wird: i Macka = die Katze auf Romanes. Die Kinder geben ein vorher vereinbartes Zeichen, z. B. Händeklatschen, sobald das Wort beim Vorlesen fällt.
* Variante: Die Kinder bekommen Bildwortkarten auf Romanes: e Ciriklji (der Vogel),
* i Macka (die Katze), o Gnezdo (das Nest) und halten während des Vorlesens die Karten an den entsprechenden Stellen hoch.
* Die Kinder werden für Sprachähnlichkeiten sensibilisiert und überlegen z. B., was das Romanes-Wort e Lampa ki bateria auf Deutsch wortwörtlich heißen könnte und wie sich der deutsche Begriff für Taschenlampe zusammensetzt.

Bildwortkarten Deutsch/Romanes zu „In Wirklichkeit war es anders“ von Achim Bröger, www.mulingula-praxis.de

* Die Kinder sprechen Wörter in der anderen Sprache nach und bemühen sich um eine passende Artikulation. Sie stellen u. a. fest, dass für deutschsprachige Kinder arabische Laute schwer aussprechbar sind.

Die Lehrkraft entscheidet, ob und wie intensiv sie nach dem Workshop mit dem Buch literarisch oder sprachfördernd weiterarbeitet. Das Mulingula-Team hat inzwischen zu vielen Bilderbüchern für den internen Gebrauch Materialboxen entwickelt, die zahlreiche Lernangebote zu beiden Förderschwerpunkten anbieten. Die Website www.mulingula-praxis.de stellt ebenfalls reichhaltige Lernangebote zur systematischen Sprachförderung im Anschluss an die literarische Erarbeitung zur Verfügung (s. Kapitel 4.3 „Entwicklung von Bildungssprache mit den Lernangeboten des Downloadmaterials“).

Der/die Mulingula-Vorleser*in entscheidet nach einem Vorleseworkshop ebenfalls, ob und wie sie in ihrer Sprachgruppe mit dem Buch weiterarbeitet. Hier liegt der Schwerpunkt jedoch ausschließlich bei der literarischen Arbeit. Das Buch kann beispielsweise in der Muttersprache nacherzählt oder szenisch umgesetzt werden.

Zweisprachiger Vorleseworkshop zu „Ein buntes Land“ von Manfred Mai auf Russisch/Deutsch

© Krystyna Strozyk